MADRID, 18 (EUROPA PRESS)
Eine neue Studie hat die planetarische Grenze der „funktionalen Integrität der Biosphäre“ räumlich detailliert und über Jahrhunderte hinweg kartiert.
Diese Studie zeigt, dass 60 % der globalen Landfläche bereits außerhalb der lokal definierten Sicherheitszone liegen und 38 % sogar in der Hochrisikozone.
Die Studie wurde vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) in Zusammenarbeit mit der BOKU-Universität Wien geleitet und in der Zeitschrift One Earth veröffentlicht.
Die funktionale Integrität der Biosphäre bezieht sich auf die Fähigkeit der Pflanzenwelt, den Zustand des Erdsystems mitzuregulieren. Dies erfordert, dass die Pflanzenwelt in der Lage ist, durch Photosynthese genügend Energie zu gewinnen, um die Kohlenstoff-, Wasser- und Stickstoffflüsse aufrechtzuerhalten, die die Ökosysteme und ihre zahlreichen miteinander verbundenen Prozesse unterstützen, trotz der gegenwärtigen massiven menschlichen Eingriffe.
Neben dem Verlust der biologischen Vielfalt und dem Klimawandel bildet die funktionale Integrität den Kern des analytischen Rahmens der Planetary Boundaries für einen sicheren Handlungsspielraum für die Menschheit.
„Es besteht ein enormer Bedarf für die Zivilisation, die Biosphäre für die Gewinnung von Nahrungsmitteln, Rohstoffen und in Zukunft auch für den Klimaschutz zu nutzen“, sagte Fabian Stenzel, Hauptautor der Studie und Mitglied der PIK-Forschungsgruppe „Sicherer terrestrischer Operationsraum“, in einer Erklärung.
„Schließlich wächst der Bedarf der Menschheit an Biomasse weiter, und der Anbau schnell wachsender Gräser oder Bäume zur Erzeugung von Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung wird von vielen als wichtige Strategie zur Unterstützung der Klimastabilisierung angesehen.“
„Daher wird es umso wichtiger, den Druck, den wir bereits jetzt auf die Biosphäre ausüben, regional und zeitlich differenziert zu quantifizieren, um Überlastungen zu identifizieren. Unsere Forschung ebnet hierfür den Weg.“
Die Studie basiert auf der neuesten Aktualisierung des Rahmenwerks zu den planetaren Belastungsgrenzen, die 2023 veröffentlicht wurde.
„Der Rahmen stellt nun eindeutig die Energieflüsse aus der Photosynthese in der globalen Vegetation in den Mittelpunkt der Prozesse, die die planetare Stabilität mitregulieren“, erklärt Wolfgang Lucht, Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am PIK und Koordinator der Studie.
Stress für die Natur
„Diese Energieflüsse treiben alles Leben an, doch der Mensch lenkt einen erheblichen Teil davon für seine eigenen Zwecke ab und stört damit die dynamischen Prozesse der Natur.“
Die Belastung des Erdsystems lässt sich dadurch einerseits am Anteil der natürlichen Biomasseproduktivität messen, den die Menschheit für eigene Zwecke nutzt (durch Ernteerträge, Rückstände und Holz), andererseits aber auch an der durch Anbau und Bodenversiegelung bedingten Verringerung der photosynthetischen Aktivität.
Die Studie ergänzte diese Maßnahme um einen zweiten aussagekräftigen Indikator für die Integrität der Biosphäre: einen Risikoindikator für die Destabilisierung des Ökosystems, der komplexe strukturelle Veränderungen in der Vegetation sowie im Wasser-, Kohlenstoff- und Stickstoffhaushalt der Biosphäre erfasst.
EVOLUTION SEIT 1600
Basierend auf dem globalen Biosphärenmodell LPJmL, das die täglichen Flüsse von Wasser, Kohlenstoff und Stickstoff mit einer Auflösung von einem halben Längen-/Breitengrad simuliert, liefert die Studie eine detaillierte Bestandsaufnahme für jedes Jahr seit 1600, basierend auf Veränderungen des Klimas und der menschlichen Landnutzung.
Das Forschungsteam hat die beiden Indikatoren für die funktionelle Integrität der Biosphäre nicht nur berechnet, kartiert und verglichen, sondern sie auch durch einen mathematischen Vergleich mit anderen Messungen in der Literatur ausgewertet, für die „kritische Schwellenwerte“ bekannt sind.
Dies führte dazu, dass jedem Gebiet ein Status zugewiesen wurde, der auf den Toleranzgrenzen für lokale Ökosystemänderungen basiert: Sicherer Betriebsraum, Zone mit zunehmendem Risiko oder Zone mit hohem Risiko.
Die Berechnungen des Modells zeigen, dass besorgniserregende Entwicklungen bereits um 1600 in den mittleren Breiten begannen. Im Jahr 1900 lag der Anteil der globalen Landfläche, wo die Ökosystemveränderungen die lokal definierte Sicherheitszone überschritten oder sich sogar in der Hochrisikozone befanden, bei 37 Prozent bzw. 14 Prozent. Heute sind es 60 Prozent bzw. 38 Prozent.
Die Industrialisierung forderte bereits ihren Tribut; die Landnutzung beeinflusste den Zustand des Erdsystems schon lange vor der globalen Erwärmung. Heute ist diese Biosphärengrenze auf fast der gesamten Erdoberfläche überschritten – vor allem in Europa, Asien und Nordamerika –, wo es zu einer erheblichen Veränderung der Vegetationsdecke gekommen ist, vor allem durch die Landwirtschaft.
„Diese erste globale Karte, die die Überschreitung der Grenze der funktionalen Integrität der Biosphäre zeigt und sowohl die menschliche Aneignung von Biomasse als auch ökologische Störungen darstellt, stellt einen bedeutenden wissenschaftlichen Durchbruch dar, da sie zu einem besseren Gesamtverständnis der planetaren Grenzen beiträgt“, sagt Johan Rockström, Direktor des PIK und einer der Co-Autoren der Studie.
„Es liefert zudem wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der internationalen Klimapolitik, da es den Zusammenhang zwischen Biomasse und natürlichen Kohlenstoffsenken und deren Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels verdeutlicht. Die Regierungen müssen dies als eine einzige, grundlegende Frage angehen: den umfassenden Schutz der Biosphäre in Verbindung mit entschlossenen Klimaschutzmaßnahmen.“