Der unsichtbare Drehbuchautor: Wenn Geschichten keine Handschrift mehr haben

von 3. Oktober 2025
Foto von Edgar Colomba

Das Aufkommen von Sora, dem von OpenAI entwickelten künstlichen Intelligenzmodell zur Generierung hyperrealistischer Videos aus Text, stellt nicht nur Hollywood vor eine Herausforderung. Es stellt etwas Tieferes in Frage: die Idee des Autors selbst. Wer unterschreibt in einer Welt, in der Geschichten von Algorithmen konstruiert werden, das Drehbuch? Wer übernimmt die erzählerische Verantwortung? Wer entscheidet, was erzählt wird und was weggelassen wird?

Jahrhundertelang drehte sich Kunst um Konflikte. Ein Regisseur streitet mit seinem Lektor. Ein Drehbuchautor verteidigt seinen Text. Ein Schauspieler improvisiert abseits des Drehbuchs. Sora eliminiert diesen Lärm. Er ersetzt ihn durch Effizienz. Durch Anweisungen. Durch unmittelbare Ergebnisse. Doch in dieser Stille geht etwas verloren: die Spannung, die dem Werk Bedeutung verleiht.

Es geht nicht um Nostalgie. Es geht um redaktionelle Ethik. Wenn eine Geschichte von KI generiert wird, wer ist dann für ihre Voreingenommenheit verantwortlich? Für ihre Ästhetik? Für ihre emotionale Wirkung? Wer entscheidet, ob ein Körper erscheint oder nicht, ob eine Stimme einen Akzent hat, ob eine Szene Gewalt oder Erlösung suggeriert?

Sora hat keine Ideologie. Aber er wurde von Menschen ausgebildet. Und diese Menschen haben Vorurteile, Interessen, Absichten. Das Modell ist nicht neutral. Es ist eine Synthese aus Millionen unsichtbarer Entscheidungen. Und jedes generierte Video ist ein redaktioneller Beitrag ohne Signatur, ohne Kontext, ohne Konflikt.

Autorenschaft wird entbehrlich. Zuschauer suchen nicht mehr nach Namen. Sie suchen nach Anregungen. Sie suchen nach Geschwindigkeit. Sie suchen nach Wirkung. Und Hollywood mit seinen Gewerkschaften, seinen Zeitplänen und seinen Egos kann da nicht mithalten. Aber das Problem ist nicht Hollywood. Das Problem ist, dass die Erzählung entbehrlich geworden ist.

In dieser neuen Logik ist der Drehbuchautor kein Schöpfer. Er ist ein Prompter. Ein Techniker, der Emotionen, Stil und Dauer abstimmt. Die Geschichte wird nicht mehr konstruiert: Sie wird synthetisiert. Und diese Synthese, so brillant sie auch sein mag, hat kein Gedächtnis. Sie hat keinen Kontext. Sie hat keine Stimme.

Wer schreibt die Geschichten, wenn niemand sie signiert? Wer ist verantwortlich für das, was wir sehen, fühlen und teilen? Diese Frage lässt Sora offen. Und eine, die im Moment niemand zu beantworten wagt.

Denn der wahre Konflikt besteht nicht zwischen Hollywood und OpenAI. Er besteht zwischen zwei Weltmodellen. Eines basiert auf Erfahrung, Irrtum und Intuition. Ein anderes basiert auf Effizienz, Vorhersage und Optimierung. Eines akzeptiert Unvollkommenheit als Teil der Kunst. Ein weiteres korrigiert sie, bevor sie überhaupt auftritt.

Sora ist nicht der Feind. Er ist der Spiegel. Er spiegelt wider, was wir als Publikum verlangen: Geschwindigkeit, Wirkung, eine reibungslose Ästhetik. Und er liefert. Doch dabei löscht er die Signatur aus. Er löscht den Konflikt aus. Er löscht die Geschichte hinter der Geschichte aus.

Vielleicht wird es in der Zukunft keine Drehbuchautoren geben. Vielleicht wird es Erzähloperatoren geben. Prompt-Kuratoren. Emotionstechniker. Aber wer ist in dieser Zukunft für die Erzählung verantwortlich? Wer trägt die Verantwortung, wenn eine Geschichte Hass, Manipulation oder Gewalt hervorruft?

Autorschaft ist kein Luxus. Sie ist eine Verantwortung. Ohne sie wird die Geschichte anonym. Und Anonymität ist in Zeiten der Polarisierung gefährlich.

Sora schreibt ohne Unterschrift. Und das sollte uns, abgesehen von seinen technischen Fähigkeiten, Sorgen bereiten.

Denn wenn niemand unterschreibt, antwortet auch niemand. Und wenn niemand antwortet, verliert die Geschichte ihre Konsequenzen. Sie wird zum Lärm. Zum Anreiz. Zum Konsum. Aber nicht zur Kultur.

Nicht verpassen